Donnerstag, 25. August 2005

Fußballfans, Musik, Kommunikation und der schwierige Umgang mit Toleranz

Hype im Internetforum um Fangesänge für einen Bundesligaverein

Jüngst hatte auch der Autor sein Deja Vu. Seit knapp 20 Jahren als PR-Profi kommunikationserprobt, entdeckte er plötzlich, warum gestandene Fußball-Bundesligavereine nicht nur Pressesprecher, sondern auch Fan-Beauftragte haben. Denn Kommunikation ist nicht gleich Kommunikation. Diese Erfahrung machte er am Rhein. Genauer, an der Stelle wo der Main in den Rhein mündet. Hier wo sich die beiden Landeshauptstädte Wiesbaden und Mainz gegenüber liegen. Eigentlich ist auch das noch zu ungenau, denn die Erfahrungen wurden im Internet gemacht. Zur Vorgeschichte.

Die einen bezeichnen ihn als Karnevalsverein, andere als erfrischenden Bundesliganeuling der gerade sein ersten Bundesligajahr erfolgreich bestanden hat und auf den Sprung in den UEFA-Cup ist: Mainz 05. Die Zahl hinter der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt weist bereits den Weg: In diesem Sommer feierte der Verein sein 100-Jähriges.

Dass ein solch runder Geburtstag nicht ohne Folgen bleiben konnte war abzusehen. Nicht jedoch die kommunikative Brisanz. Im Mai bekam ich Besuch. Keinen privaten, einen mit geschäftlicher Note. Ein Künstler fand den Weg zu mir, da ich mit der eigenen Marke "Rent a Pressereferent" als Ansprechpartner für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit fungiere. Mittelständische Unternehmen, aber auch Freie Berufe, wie eben Künstler, suchen mich auf, wenn sie den Weg in die Medien gehen wollen. Des Künstlers Name: Werner Aurin. In den 80ern galt er im Schlager- und Pophimmel als große Hoffnung. Mit seiner Gruppe Headline erhielt er 1985 sogar die "Goldene Europa" als Newcomer des Jahres. Er ging in TV-Shows, u.a. bei Alfred Biolek ein und aus. In der Folge wurde es etwas ruhiger um ihn, er stand nicht mehr so häufig in der ersten Reihe. Musikalisch betrat er sowohl Solopfade, stand aber auch als "Björn" im Quartett der "Absolutely Abba for Friends", er gab den Prinz Konrad im Loreley-Musical und komponierte mit "Luzio" ein eigenes Kindermusical. 2005 will er wieder durchstarten. Neben neuen Liedern, die er noch im Herbst auf CD pressen will, gibt es einen speziellen Grund für seinen Besuch.

Beim Latte Machiato erzählt er mir von seinen Ursprüngen und seinen Plänen. Er erblickte tatsächlich als Rosenmontagskind in Mainz das Licht der Welt. Und als Mainzer habe er seinem Verein vier Jubiläumssongs zwar nicht aufs Trikot, doch auf dem Leib geschrieben. Nach langen Jahren in Köln und noch längeren Jahren auf der anderen Rheinseite, im hessischen Taunus, habe er den Verein nie aus den Augen verloren.

Das Problem: Der Verein hat schon eine Haus- und Hofband. Manche behaupten, es sei eine Wald- und Wiesenkapelle, aber immerhin. Als musikalischer Novize will ich mich von musikkritischem Glatteis fern halten. Was dem Feldhamster seine Rote Liste ist, ist den Vier von "Se Bummtschacks" jedoch ihr Bestandsschutz. Wie seinerzeit Gerhard Schröder hier rein wollte (gemeint ist das Kanzleramt), so wollen die Rockkrakelen nicht mehr raus (aus dem Stadion am Bruchweg). Wer gibt auch schon gerne geliebte Pfründe auf?

Der Verein ist in der Zwickmühle. Ina Deter hatte, ebenfalls in den 80ern, zwar neue Männer gefordert, die das Land bräuchte. Aber jetzt und hier und als Musikanten? Dies schien der Vereinsspitze zu gewagt, obwohl man ihn gut kennt. Nicht mal in den Fanshops durfte Werner Aurin seine "4 Jubiläumssongs" vertreiben. Und auch die "Bummtschacks" waren pikiert. Hatte Aurin doch die Lieder mit seiner Gruppe "Heimspiel" aufgenommen. Just so nannten sie ihre letzte CD. Statt es sportlich zu sehen, schließlich wollen beide ins Sportgeschäft oder auch nur den Verein musikalisch unterstützen, wer weiß das schon so ganz genau, und einen musikalischen Wettstreit oder eine musikalische Vielfalt zu pflegen, wurden Fronten aufgebaut.

Doch der Reihe nach. Der PR-Mann, also ich, macht seinen Job. Aurin gibt Radio-Interviews, kommt in die Zeitung, spielt die Songs sogar im Bruchwegstadion - allerdings nicht während der Spiele, denn es ist gerade Sommerpause. Aber ein Familientag mit tausenden Besuchern im Bruchwegstadion ist doch auch etwas. Er findet sogar bei dieser Gelegenheit die Möglichkeit mit dem Mainzer Trainer Jürgen Klopp zu plaudern, immerhin zum Vize-Trainer des Jahres 2005 von den Deutschen Sportjournalisten gewählt. Ein Gespräch von Diplom-Sportlehrer zu Diplom-Sportlehrer. Denn dies hat Aurin studiert. Vier Wochen später sind auf dem Kinderfest der rheinland-pfälzischen Sportjugend 60.000 Menschen im Mainzer Volkspark - und Aurin steht mit seiner Gruppe "Heimspiel" und mit seinen Songs auf der Bühne des landesweiten Radiosenders RPR1. Doch nicht nur die Medien werden über die Jubiläumssongs informiert. Auch und gerade die wichtigsten Fanclubs, die im Internet Flagge zeigen.

An vorderster Front hierbei die renommierte Internet-Fan-Community der Mainzer Kigges.de Doch hier herrscht die berühmt-berüchtigte "Tote Hose" in Bezug auf Aurin. Die CD wird totgeschwiegen. Um einen anderen Ina Deter-Song abgewandelt zu zitieren: Sie kommen langsam, aber gewaltig. Erst am Tag vor der Jubiläums-Party in der Mainzer Innenstadt, das waren sechs Wochen nach der direkten Information via Pressemitteilung, entdeckt irgendein Fan im Internet die Pressemitteilung im OpenPR-Forum über die neuen Fangesänge. Prompt stellt er die Frage ins Kigges-Forum "Kennt den jemand?". Was folgte waren binnen kürzester Zeit 40 Beiträge. Zumeist Schmähkritiken. Diese reichten von Jürgen-Drews-Verschnitt (wegen der Optik, die Pressemitteilung beinhaltete auch ein Foto des Künstlers), bis hin zu Altersheim-Musik (weil Aurin schon die 50 überschritten hat und auch die Stilrichtung der Musik den Rockern im Kigges nicht gefällt). Davon weiß Aurin allerdings nichts. Denn nach sechs Wochen wurden die Foren nicht mehr beobachtet. Am Tag darauf feiert er mit den Fans in der Mainzer Innenstadt das 100jährige des Vereins. Verteilt Autogramme, verkauft mit Freunden seine CD mit den Fangesängen. Und tatsächlich informieren bei dieser Gelegenheit 05-Fans Aurin, dass er im Kigges-Forum nicht gerade geliebt wird. Erstaunt, dass doch über seine Lieder diskutiert wird, werden die Forumsbeiträge am Tag danach analysiert. Wie gesagt, es waren die zuvor genannten Schmähkritiken.

Sollte das so stehen bleiben? Nein. Da er selbst kein geübter Internet-User ist, darf sein PR-Mann im Kigges-Forum seine Sicht der Dinge darlegen. Sachlich und mit dem Tenor des musikalischen Wettstreits und der Vielfalt werden die Schmähungen übergangen. Nur die Bitte um musikalische Toleranz soll bei den Fans um sich greifen. So die Vorstellung.

Was folgte waren mehr als 130 Beiträge innerhalb weniger Stunden. Musikalisch konnte Aurin nicht unbedingt punkten. Zu sehr lagen die musikalischen Geschmäcker auseinander. Einige wurmte es, dass er nicht persönlich im Forum anwesend war. Zu sehr lag wohl die Versuchung in der Luft, ihn direkt virtuell zu zerreißen. Dennoch war es gewöhnlicher Forum-Slang, nicht gerade gepflegte Konversation. Doch dies kennt man ja von Internet-Foren. Dies änderte sich schlagartig, als einer der Konkurrenzmusiker im Forum das Wort ergriff. Ohnehin im Forum mit einem quasi göttlichen Kultstatus umgeben, konnte er sich diverse verbale Tiefschläge und Unsinn gegenüber dem Autor erlauben, dass sogar ihm als PR-Mann Emotionen packten. Zwar sehr zaghafte, aber immerhin. Warum auch nicht, immerhin geht es neben der Musik vor allem um Fußball, wenn da keine Emotionen möglich sein sollen. Doch nun war der Autor das Ziel der Attacken. Dies hatte immerhin auch was Gutes, federte es doch einiges an Kritik ab, die sonst seinen Kunden zugedacht gewesen wären.

Nach drei Stunden war der Spuk zu Ende. Doch nicht aus Einsicht oder Ermüdung, nein die Ursache hatte profanere Gründe. Kigges lud zur wöchentlichen Grill-Party an den Rhein. Umgekehrt hatte dies den Effekt, dass nun in tatsächlicher Face-to-Face-Kommunikation das Thema weiter diskutiert wurde - allerdings ohne mich und meinen Künstler. Einige waren dermaßen enttäuscht, von dieser Debatte nichts mitbekommen zu haben, weil sie direkt nach der Arbeit zum Grillen gegangen sind, dass sie ihr Bedauern noch am nächsten Tag in die Forumsdebatte eintrugen. Die hohe Anzahl von 40 Beiträgen in der ersten Diskussion ("Kennt den jemand?") und die mehr als 130 in der zweiten sind tatsächlich beispiellos, wobei es natürlich viele Beiträge von Personen gab, die sich mehrfach äußerten. Die tatsächliche Anzahl an Diskussionsteilnehmer wird bei 30-40 gelegen haben. Dennoch hatte es eine solch intensive Diskussion selten zuvor in einem regional und thematisch so eingeschränkten Forum gegeben. Zu berücksichtigen ist dabei, dass sich jeder Teilnehmer registrieren musste, was das einfach darauf los plappern verhindert. Umgekehrt lassen andere Faktoren Rückschlüsse auf die tatsächliche Leseaktivität dieser Diskussion zu. Ein Hinweis des Autors innerhalb der Diskussion auf einen entsprechenden thematischen Beitrag in seinem privaten Weblog führte parallel auch in diesem zu ca. 130 Besuchen innerhalb weniger Stunden, die Website von aurinmusic.com registrierte in dieser kurzen Zeitspanne annähernd 400 Downloads von Hörproben seiner Fangesänge.

Zwar führte diese Diskussion, das Suchen einer Kommunikation mit einem Teil der Fans, nicht zum gewünschten Erfolg: Toleranz und musikalische Vielfalt bei den Stadion- und Fußballgesängen herbeizuführen. Dennoch kann festgestellt werden, dies belegen spätere Forumseinträge, dass auch innerhalb der KIGGES-Community eine Diskussion einsetzte, die sich gegen ein verbalen Herabsetzen von einzelnen Fans und auch von Künstlern ausspricht. Repräsentativ war Kigges nie, das wissen Autor und Künstler. Dennoch schaffte es diese Community in den letzten Jahren einen hohen Fan-Status zu erzielen. Wenngleich auch in anderen Diskussionen bei Kigges erkennbar ist, dass sie auch mit anderen Fans nicht sonderlich zimperlich umgehen. Das sind zum einen andere musikalische Vereinsunterstützer, zum anderen andere Fanklubs, die sich nur zu gerne in den Medien wieder finden. Sie werden im Kigges als "Mediennutten" gebrandmarkt. Insofern ist Kigges tatsächlich nicht die gesamte Fan-Community und damit auch die Zuversicht da, mit den Fangesängen andere Fußballfreunde begeistern zu können. Denn ins Stadion am Bruchweg gehen ja nicht nur 100 bis 200 kritische Fans, sondern bis zu 20.000 Fußballanhänger. Viel zu wenig berücksichtigen darüber hinaus die wenigen kritischen Fans, dass es bei Fangesängen um Musik geht, die eingängig sein muss, jedermann muss sie in den Stadionkurven mitsingen können, rockige Songs sind hierzu nur sehr eingeschränkt geeignet. Insofern überraschte es Werner Aurin dann auch nicht, dass sich der rheinland-pfälzische Sportminister lobend über seine Fußball-Songs äußerte. Ihm hätten die "Fangesänge jedenfalls viel Spaß gemacht" und er hofft, dass "die einprägsamen Texte und schwungvollen Melodien bei den Fans gut ankommen". Soweit eine spannende Episode aus dem Spannungsbereich zwischen Fußball, Kommunikation und Fans. Erzählt übrigens mit ausdrücklicher Genehmigung von Werner Aurin. Denn normal ist dies nicht, dass Interna aus Kundenbeziehungen ausgeplaudert werden. Ende gut, alles gut? Abwarten, Musik hören und anfeuern lautet daher die Devise, ausgegeben von einem um neue Kommunikationsperspektiven bereicherten PR-Mann Peter Wolff.

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